Strafanzeige erstattet
Justizversagen in Sachsen-Anhalt: Wurde Oury Jalloh von Polizisten angezündet? Weil privates Gutachten diesen Verdacht nahelegt, wendet sich Initiative an Generalbundesanwalt
Von Susan Bonath
Demonstration vor dem Dessauer Landgericht zum dritten Todestag von Oury Jalloh (7. Januar 2008)
Foto: Jan Woitas/dpa-Bildfunk
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Die vierminütige Filmsequenz, aufgenommen im Revier Dessau, stammt vom Landeskriminalamt (LKA) Sachsen-Anhalt. Mehr Aufnahmen hat die Polizei auch nicht zu bieten. Denn die folgende Spurensicherung blieb, angeblich durch einen technischen Defekt, undokumentiert. Der Initiative dienen die Bilder als Vergleichsmaterial zu den anschließend aufgezeichneten Experimenten, die in ihrem Auftrag der in Irland und London arbeitende Thermophysiker Maksim Smirnou in einer nachgebauten Zelle durchführte. Dazu legte er einen Schweinekadaver auf eine Matratze, öffnete deren feuerfeste Hülle und zündete den Füllstoff an. Damit erschütterte er die Justizthese vom Selbstmord massiv: Ohne Beschleuniger kam es lediglich zu einem Schwelbrand, der auch nach einer Stunde nur einen Teil der Unterlage erfaßte und den Körper nahezu intakt ließ. Selbst mit zwei Litern Benzin konnte kein Brandbild wie in der Zelle erzeugt werden. Ein annäherndes Ergebnis erzielte Smirnou erst, als er die Oberseite des Bezuges entfernte und Matratze und Schweinekörper vor dem Anzünden mit fünf Litern Benzin übergoß. Seine Untersuchungen, die ersten dieser Art, mußte die Initiative selbst finanzieren, weil Ermittler in Sachsen-Anhalt sie bislang abgelehnt hatten.
Immerhin lockte das neue Gutachten den zuständigen Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann aus der Reserve. Dies seien »ernste, überraschende, teils erschreckende Informationen«, die man nachprüfen müsse, sagte er in die Mikrofone von Journalisten. Vorwürfe, absichtlich Indizien ignoriert zu haben, wies Bittmann zurück. »Unverschämt« findet das Nadine Saeed von der Oury-Jalloh-Initiative. »Die Staatsanwaltschaft tut jetzt so, als ob es ihr nicht möglich gewesen wäre, selbst herauszufinden, was wir jetzt festgestellt haben«, sagte sie der Presse. Dabei hatte die Nebenklage im zweiten Prozeß in Magdeburg 2011/2012 mehrfach vergeblich Abbrandversuche beantragt.
Die Rechtsanwältin der Opferfamilie, Gabriele Heinecke, sieht die Ermittler jetzt im Zugzwang. Schnelle Entscheidungen dürften aber nicht fallen. Angesichts der neuen Studie hüllen sich Sachsen-Anhalts Justiz und Politik wie gewohnt in Schweigen. Eine Bitte um Stellungnahme ignoriert die Staatsanwaltschaft Dessau seit Donnerstag. Das Justizministerium verwies an das Innenministerium, wo es hingegen hieß, ersteres und die Staatsanwaltschaft seien zuständig für »juristische Fragen«. Und angeblich werde bereits ermittelt, begründete die Staatskanzlei ihr Schweigen. In Berlin hatte Bittmann aber lediglich ein Prüfverfahren erwähnt und aktuelle Ermittlungen verneint.
Das Prüfverfahren läuft nach jW-Informationen bereits seit über einem Jahr. Mit ihm soll einzig festgestellt werden, ob es an dem vom LKA präsentierten vermeintlichen »Selbstmordfeuerzeug« noch etwas zu untersuchen gebe. Im Sommer 2012 hatte eine Sachverständige analysiert, daß es weder Spuren aus der Zelle noch vom Toten aufweist. Das Feuerzeug, das erst Tage nach dem Brand auftauchte, ist nur eines von zahlreichen Indizien, die an der offiziellen These zweifeln lassen. Danach habe Jalloh das Feuerzeug irgendwie in die Zelle geschmuggelt, den Matratzenbezug mit der Flamme aufgeschmolzen und den Füllstoff angezündet, um Aufmerksamkeit zu erregen. Diese Theorie gerichtsfest zu widerlegen, ist schwer, denn der Schutt wurde damals nicht auf Brandbeschleuniger untersucht, die rechte Handfessel soll der Hausmeister entsorgt haben, ein Fahrtenbuch fehlt, Journaleinträge wurden gelöscht. Hinzu kommen widersprüchliche Aussagen von Polizisten und medizinische Ungereimtheiten wie fehlende Streßhormone im Urin des Toten. Für Anwältin Heinecke ist letzteres ein Hinweis darauf, daß der Gefangene bereits vor dem Ausbruch des Feuers bewußtlos gewesen sein muß. Zudem konnte die Initiative im Frühjahr 2005 mit einer ebenfalls selbst finanzierten zweiten Obduktion nachweisen, daß Jallohs Nasenbein und Siebbeinplatte gebrochen und seine Trommelfelle eingerissen waren, was auf massive Gewalteinwirkung hindeutet.
Die Initiative hat das Vertrauen in Sachsen-Anhalts Ermittler längst verloren. Polizei, Staatsanwälte und Gerichte hätten über acht Jahre bewiesen, daß sie nicht aufklären wollen. Deshalb stellte sie vergangene Woche bei der Generalbundesanwaltschaft Strafanzeige wegen Totschlags oder Mordes. Man wende sich an Karlsruhe, weil es um »eine besonders schwere Straftat mit Bezug zur inneren Sicherheit und Verfaßtheit der Bundesrepublik Deutschland« gehe. Die zu ermittelnden Täter seien »notwendigerweise exekutive Amtsträger des Landes Sachsen-Anhalt«. Neue Ermittlungen von außerhalb zur Klärung von Ausbruch und Verlauf des Feuers seien nötig.
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