Justiz
Berufsbedingt überheblich
Eine Klasse von Staatsbediensteten verwahrt sich mit
Erfolg gegen alle Kritik: Die Richter. Damit schaden sie der Justiz. Von
Norbert Blüm
Nach einem Urteil des Amtsgerichtes Berlin-Tiergarten darf die katholische
Kirche "eine kinderfickende Sekte" genannt werden. Würde ich eine Richterin am Familiengericht
als "stutenbissige Emanze" titulieren, ich hätte ganz schnell ihren Kollegen Strafrichter am
Hals. Zu Recht.Die unterschiedlichen Konsequenzen haben allerdings kaum damit zu tun, für welche dieser Schmähungen weniger Gründe beansprucht werden könnten. Sie hängen vielmehr damit zusammen, dass Kritik an Richtern ein Tabu ist. Richter beanspruchen "Unangreifbarkeit". Warum eigentlich? Selbst der angeblich unfehlbare Papst ist öffentlichen Angriffen ausgesetzt. Nichts und niemand ist vor Kritik geschützt. Nur Richter empfinden Angriffe als Zumutung, für die Strafen wegen Nötigung drohen. Rücktritt – das ist im Richtergewerbe ein völlig unbekanntes Wort, ja eine unerhörte Vorstellung.
Anklagen gegen Richter sind eine Rarität. Selbst als ein Oberlandesgericht sehenden Auges mit seinem Urteil gegen Recht und Gesetz verstieß und das Verfassungsgericht dies als eine "willkürliche Entscheidung" bezeichnete, passierte den Richtern nichts. Die vom Staatsanwalt beantragte Eröffnung eines Strafverfahrens wurde abgelehnt, weil bei drei beteiligten Richtern nicht geklärt werden konnte, ob sie alle die fragliche Entscheidung zu verantworten hatten. So entschieden durch dasselbe Oberlandesgericht, an dem die mutmaßliche Rechtsbeugung begangen worden war.
Hat irgendwer irgendwo danach auch nur einen Hauch von öffentlicher Verwunderung gespürt? Vergleichbares hätte in der Politik einen Orkan der Windstärke 11 ausgelöst.
Richter sind frei wie ein Vogel unter Gottes weitem Himmel. Sie sind nur ans Gesetz gebunden. Wenn sie es fehlerhaft auslegen, werden sie schlimmstenfalls von übergeordneten Instanzen zur Ordnung gerufen, was sie nicht weiter beunruhigen muss. Notfalls verweigern sie die Überprüfung ihrer Urteile, weil eine erneute Beweisaufnahme nach so langer Zeit "unzumutbar" sei, wie in Bayern mehrfach geschehen.
Norbert Blüm
Der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofes Günter Hirsch verstieg sich zu der Feststellung, dass es bei der gesetzesauslegenden Urteilsfindung nicht darum gehe, "was der Gesetzgeber – wer immer das sein mag – beim Erlass eines Gesetzes ›gedacht hat‹, sondern was er vernünftigerweise gedacht haben sollte". Der Richter ist also eine Gouvernante, die es besser weiß als das Parlament. Lässt sich die Selbstüberschätzung höher treiben? Auf diese Weise wird die Unabhängigkeit zu einer Ungebundenheit vom Recht, die Recht nicht auslegt, sondern schafft.
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- Seite 2 Gesetzgeber ohne Volk
JustizBerufsbedingt überheblich
Woran aber orientieren sich diese Gesetzgeber ohne Volk? Der klare
Trend lautet: Das gesetzliche Recht weicht zurück zugunsten einer
geschwätzigen Kompromissfindung. Einigung statt Urteil, Therapie statt
Ordnung. Im Zivilprozess verdrängt der Vergleich das Urteil, denn ein
Vergleich ist für den Richter bequemer; er erspart ihm die
arbeitsintensive Urteilsfindung und -begründung und bewahrt ihn vor
Revisionsverfahren. Vereinbarung statt rechtlicher Entscheidung dient
aber nicht in jedem Fall der Gerechtigkeit. Ein Vergleich ist
problematisch, wenn sich die Kontrahenten nicht auf Augenhöhe begegnen.
Das Recht ist seinem Ursprung nach Schutz vor Übermacht. Kann von dieser
Schutzfunktion noch die Rede sein, wenn der Richter, mal zart, mal
grob, darauf hinweist, dass einem sperrigen Beklagten als Alternative
ein Urteil mit saftigen Kosten droht?
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Gesetzgeber ohne Volk
Im Strafrecht hat der Deal, bisweilen schon vor Prozessbeginn ausgehandelt, für Richter und Anwälte die gleichen angenehmen Folgen wie der Vergleich im Zivilprozess. Es spart allen Seiten viel Zeit und Arbeit, wenn beispielsweise Josef Ackermann mit der Zahlung von drei Millionen Euro im Mannesmann-Prozess eine Vorstrafe wegen Bestechung abwehren kann.
Sicher, Strafrichter sollen und müssen schnell sein, damit sie nicht unter Prozesslawinen verschüttet werden. Angesichts des Personalmangels in der Justiz können sie sich oft nicht die notwendige Zeit nehmen. Mit dieser Art Rationalisierung aber wird auch Gerechtigkeit wegorganisiert.
Am weitesten fortgeschritten ist die Aufweichung des Rechts hin zum flexiblen Konfliktmanagement an den Familiengerichten. Wenn es um Scheidung oder Sorgerecht geht, wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Den Richter interessiert das wenig. "Wir sind hier nicht im Strafgericht", ist eine oft gebrauchte richterliche Ausrede vor Familiengerichten. Selbst wenn Eid gegen Eid steht und nach den Gesetzen der Logik mindestens ein Meineid im Spiel ist, bleibt dies meist unaufgeklärt, weil offenbar die Wahrheit nicht interessiert. Das Pendel ist von der totalen Moralisierung der Scheidung ins andere Extrem umgeschlagen, in die moralfreie Zone. Dafür mag es auch Gründe in der Richterqualifikation geben. "Familienrichter haben eine hochgradig jämmerliche Ausbildung. Das Familienrecht spielt weder im Studium noch in der Referendarzeit eine große Rolle, geschweige denn, dass es eine spezielle Ausbildung oder verpflichtende Fortbildung für angehende Familienrichter gäbe", behauptete der Münsteraner Jurist Elmar Bergmann, und der muss es wissen, denn er war selbst fast 30 Jahre lang Familienrichter. Umso wichtiger, dass Richter wenigstens lernen, mit Kritik umzugehen.
Wohin eine berufsbedingte Überheblichkeit führen kann, demonstrierte unlängst Richter Manfred Götzl zu Beginn des Münchner NSU-Prozesses. Die Kritik an seinem dilettantischen Verfahren bei der Vergabe der Plätze für journalistische Beobachter konterte er mit der von Selbstmitleid triefenden Bemerkung, die Angriffe auf das Gericht seien "in der deutschen Geschichte ohne Beispiel". Richter Götzl gilt unter Kollegen als "brillant". Zu dieser Brillanz gehörte, dass er einen Gutachter, der während eines langen Vortrags einen Schluck Wasser zu sich nehmen wollte, anblaffte, er solle gefälligst eine Pause beantragen, wenn er Durst habe. Einen Staatsanwalt ließ er wegen eines flüchtigen Lesefehlers einen langen Vortrag wiederholen.
Kann es sein, dass solche Skurrilitäten mehr sind als nur Marotten? Dass sie symptomatisch sind für eine amtgemachte Überheblichkeit, die Richter vergessen lässt, dass sie ihre Urteile im Namen des Volkes fällen? Eine gewisse sprachliche Nähe zu ihrem Arbeitgeber, nämlich dem Volk, sollte dieses erwarten können, inklusive alltagsverträglicher Umgangsformen. Die Verwechslung von Unabhängigkeit mit Rechtfertigungsfreiheit befördert eine strukturelle Enthobenheit des Richteramtes. Diese Entrücktheit führt zum Gegenteil dessen, was mit den Richterprivilegien beabsichtigt war: Sie beschädigt nicht nur die Rechtspflege, sondern auch die Gewaltenteilung.
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